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WIR ÜBER ANDERE
 
Architektur als Medium für alle Sinnesorgane
FRIEDRICH ACHLEITNER / ÖSTERREICHISCHER ARCHITEKT, ARCHITEKTURKRITIKER UND SCHRIFTSTELLER, IN: REGION, EIN KONSTRUKT? REGIONALISMUS, EINE ERFINDUNG?
Architektur ist ein hoffnungslos (oder hoffnungsvoll) konservatives Medium, dass sich über alle Sinnesorgane mitteilt. Diese physische und kulturelle Existenz ist in einem nicht austauschbaren Ort verankert, der eine nicht beschreibbare, aber jederzeit unterscheidbare Konsistenz besitzt. Orte sind also nicht transportierbar.

Gleichzeitig aber existiert eine schon lange nicht mehr überschaubare und in ihrer Totalität unbenutzbare Information über diese Orte, die zumindest theoretisch an jedem Punkt der Erde erreichbar ist. Der totalen Begrenztheit steht eine mediale Unbegrenztheit gegenüber, der beliebigen Verfügbarkeit in der Rezeption die Widerspenstigkeit des Medium Bauens in der Konzeption.

In der Verfügbarkeit liegt die Tendenz zum Allgemeinen, in der Widerspenstigkeit die zum Besonderen.
 
 
Architektur für die Leute – Architektur für Architekten
GEORG FRANCK / DEUTSCHER ARCHITEKT, STADTPLANER UND SCHRIFTSTELLER
Es gibt zwei Sparten der Architektur. Die für die Leute und die für die Architekten. Letztere, die Avantgarde, muss, um sich durchzusetzen, spektakulär mit Konventionen brechen. Dadurch erregt sie Aufsehen. Weil dieses Brechen von Konventionen so durchsichtig funktionalisiert wird, erregt das den Ärger der Leute. Sie sagen sich, 2500 Jahre hat man an der Kunst der Profilierung gearbeitet. Warum müssen jetzt die Fassaden glatt und abstrakt sein?
 
 
Architektur und Kunst
VALERIO OLGIATI / SCHWEIZER ARCHITEKT
Das, was ich mache, verstehe ich als Kunst. Vielleicht ist Kunst nicht genau das richtige Wort, doch die exakte Bezeichnung dafür habe ich bisher noch nicht gefunden. Ich meine, dass wir uns als Architekten in derselben Disziplin bewegen dürfen wie Künstler, mit dem Unterschied, dass unsere Kunst immer auch ein Gebrauchsgegenstand ist.
 
 
Architektur und Macht
FRIEDRICH WILHELM NIETZSCHE / DEUTSCHER PHILOSOPH, ESSAYIST, LYRIKER UND SCHRIFTSTELLER
Die mächtigsten Menschen haben immer die Architekten inspiriert; der Architekt war stets unter der Suggestion der Macht. Im Bauwerk soll sich der Stolz, der Sieg über die Schwere, der Wille zur Macht versichtbaren.
 
 
Architektur und Sondermüll
DIETMAR STEINER / IN: ZURÜCK ZUR ARCHITEKTUR
Der derzeitige Wahnsinn in der Schweiz, Deutschland und Österreich, alle Häuser mit Wärmedämmverbundsystemen einzupacken, ist inzwischen hinreichend thematisiert als die langfristig größte Zerstörung von Bausubstanz jenseits von Kriegen. Eine von der Industrie getriebene Gesetzgebung zwingt der Gesellschaft Investitionen auf, die sich erst nach 30 Jahren energetisch rechnen würden, aber schon nach 20 Jahren als Sondermüll wieder entsorgt werden müssen.
 
 
Arroganz und Selbstdarstellung
HERMANN KNOFLACHER / PLANER WEITREICHENDER UND GANZHEITLICHER VERKEHRSKONZEPTE
Betrachtet man die selbstreflektorischen Missgeburten städtebaulicher Wettbewerbe, die heute vielfach prämiert werden, dann finden diese am anderen Ende einer Skala, wo hauptsächlich Arroganz und Selbstdastellung angesiedelt sind, ihren Ausdruck. Dies bringt keine lebendigen Strukturen hervor, sondern führt zu städtebaulichen Missgeburten, deren Leiden später im sozialen, im wirtschaftlichen und im ökologischen Bereich erkennbar werden.
 
 
Ästhetik
HELMUT RICHTER / ARCHITEKT
Ästhetik ist eine Frage der Gewöhnung.
 
 
Ausverkauf der Stadt
HANNO RAUTERBERG / DEUTSCHER JOURNALIST UND ARCHITEKTURKRITIKER
Bislang ist es ja so, dass die Städte und Kommunen ihre Grundstücke gerne verkaufen, um den Haushalt zu sanieren. Und sie verkaufen zumeist an die Höchstbietenden, mithin an Spekulanten. Doch das ist falsch. Der Staat muss im Gegenteil langfristig denken: Er muss Boden kaufen und alle Grundstücke erwerben, die frei werden, wenn zum Beispiel Bahn, Post oder Bundeswehr sie nicht mehr brauchen. Und er muss diesen Boden mit Interesse verkaufen: mit dem Interesse, die Stadt so lebendig und vielfältig wie möglich zu gestalten. Er muss jene begünstigen, die möglichst individuelle, erschwingliche, familienfreundliche Wohnungen bauen wollen. Jene, die Häuser für kleine Büros und Gewerbe errichten.
 
 
Autonome Fußgängergemeinden
LEOPOLD KOHR / ÖKONOM UND ALTERNATIV NOBELPREISTRÄGER
Und das ist, was wiederhergestellt werden muß, wenn unsere Städte aufs neue lebensfähig gemacht werden sollen: ein förderatives Netzwerk von gesellschaftlich, wirtschaftlich und verwaltungsmäßig großteils autonomen Fußgängergemeinden, deren urbane Annehmlichkeiten baulich und ästhetisch so attraktiv sind, daß ihre Bürger wenig Grund haben, täglich mit Autos von der Peripherie ins gemeinsame Zentrum zu rasen und mit ihren Auspuffgasen sich gegenseitig zu ersticken.
 
 
Backsteine
LUDWIG MIES VAN DER ROHE / ARCHITEKT
Architektur beginnt, wenn zwei Backsteine sorgfältig zusammengesetzt werden.
 
 
Bauen
MARTIN HEIDEGGER / IN: BAUEN-WOHNEN-DENKEN
Bauen heißt ursprünglich wohnen. Wo das Wort bauen noch ursprünglich spricht, sagt es zugleich, wie weit das Wesen des Wohnens reicht. Bauen, buan, bhu, beo ist nämlich unser Wort «bin» in den Wendungen: ich bin, du bist, die Imperativform bis, sei. Was heißt dann: Ich bin? Das alte Wort bauen, zu dem das «bin» gehört, antwortet: «ich bin», «du bist» besagt: ich wohne, du wohnst. Die Art, wie du bist und ich bin, die Weise, nach der wir Menschen auf der Erde sind, ist das Buan, das Wohnen. Mensch sein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen. Das alte Wort bauen bedeutet aber zugleich: hegen und pflegen, nämlich den Acker bauen, Reben bauen. Solches Bauen hütet nur, nämlich das Wachstum, das von sich aus seine Früchte zeitigt. Bauen im Sinne von hegen und pflegen ist kein Herstellen. Das Bauen ist hier im Unterschied zum Pflegen ein Errichten. Beide Weisen des Bauens bauen als pflegen, lateinisch colere, cultura, und bauen als Errichten von Bauten, aedificare - sind in das eigentliche Bauen, das Wohnen, einbehalten.
 
 
Bauen mit Erde
MARTIN RAUCH / LEHMBAUEXPERTE
_ so zu bauen, dass sich das Haus nach hundert Jahren rückstandsfrei, ohne jede Kontamination in die "Natur" zurückverwandeln kann, sich in sein Ausgangsmaterial dekonstruieren kann; _ so zu bauen, dass es im Einklang mit den natürlichen Kreisläufen geschieht und dass die aufgewendete Energie der Herstellung, des Betriebs und des Abbaus von Gebäuden absolut minimiert wird; _ so zu bauen, dass man den naheliegendsten und kostenlosen Stoff, das Erdreich des jeweiligen Baugrunds, so weit und so pur wie möglich als das Material der Architektur nützt; _ solches Bauen mit Erde technisch und logistisch in der Form zu aktualisieren, dass eine Mehrheit der Weltbevölkerung dies in Selbstertüchtigung aufgreifen und zur wesentlichen Verbesserung ihrer Lebensumstände nützen kann.
 
 
Bauordnungen lieben Autos
HERMANN KNOFLACHER / PLANER WEITREICHENDER UND GANZHEITLICHER VERKEHRSKONZEPTE
Die Verkehrsmittelwahl wird zu Hause entschieden – wo sonst? Die Bauordnungen aller Länder sorgen dafür, dass dem jüngsten Kind der Mobilität, dem Auto, an der besten Stelle genügend Platz eingeräumt wird. Sie schreiben vor, dass zu jedem Haushalt ein entsprechender Autoabstellplatz gebaut werden muss, der sich in der Nähe des Hauses oder im Haus zu befinden habe. Damit wird den Autofabriken der Lebensraum für "ihre Kinder" gesichert.
 
 
Bauregel der Hunzas
ALTES KÖNIGREICH IM HIMALAYA
Ein Haus dürfe nur so hoch gebaut werden, dass der Schatten nicht auf die Felder des Nachbarn fällt.
 
 
Begegnung in der historischen Stadt
VITTORIO MAGNAGO LAMPUGNANI / ARCHITEKT UND STÄDTEBAUER
Richtig ist, dass wir für die Städte der Zukunft kaum grundsätzlich neue Lösungen erfinden müssen – wir können auf bewährte Prinzipien zurückgreifen. Das historische Stadtzentrum mit seinen schmalen Straßen, Parks, Uferpromenaden und schön geschnittenen Plätzen ist nach wie vor ein brauchbares, hervorragendes urbanistisches Modell, weil es Begegnungen möglich macht und fördert.
 
 
Beton
GERHARD POLT / SCHAUSPIELER UND KABARETTIST
Und das Schönste am Beton ist halt doch, wenn irgendwo eine Brennnessel rausschaut. Das ist wunderbar.
 
 
Brauchen
JAN TURNOVSKÝ / ARCHITEKT, IN: KLEINMUT, LEICHTE GEDICHTE
Wenn jemand glaubt
etwas nicht zu brauchen
dann braucht er es vielleicht
wirklich nicht
 
 
City and visibility
LEWIS MUMFORD / AMERICAN ARCHITECTURAL CRITIC, URBAN PLANNER AND HISTORIAN
In the city, time becomes visible.
 
 
Dachböden
LEOPOLD KOHR / ÖKONOM UND ALTERNATIV NOBELPREISTRÄGER
Was für ein Unterschied zu dem Leben ohne Spielraum, welches zum typischen Kennzeichen der Existenz heutzutage geworden ist. Es gibt keine Dachböden mehr, wo man noch literarische Schätze wie Boswells Schriften entdecken und wo man zum Vergnügen der Kinder altmodische Trachten ausgraben kann. Im Vergleich zu früheren Zeiten haben wir riesige Gehälter und doch nichts übrig.
 
 
Das Große ist der Wahnsinn des Kleinen
FRIEDRICH ACHLEITNER / ÖSTERREICHISCHER ARCHITEKT, ARCHITEKTURKRITIKER UND SCHRIFTSTELLER, IN: REGION, EIN KONSTRUKT? REGIONALISMUS, EINE ERFINDUNG?
Wenn heute die alpinen Regionen verbaut und versaut sind, dann liegt der Grund nicht in den zentralen Verwaltungen von Bern, München, Turin, Mailand oder Wien, sondern in den kleinen Entscheidungen in den Gemeindestuben. Brüssel kommt viel zu spät, wir haben unsere Bergtäler schon in gediegener Heimarbeit zubetoniert. Die wie Gezeiten kommenden Verkehrslawinen und Megastaus sind das Produkt der Millionen von Kleinfamilien, die mit Sack und Pack auf die Reise gehen, damit sie in Sizilien das vorfinden, was sie im Rheinland verlassen haben. Das Große ist der Wahnsinn im Kleinen.
 
 
Das Ideal
KURT TUCHOLSKY
Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – aber abends zum Kino hast dus nicht weit. Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit: Neun Zimmer – nein, doch lieber zehn! Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn, Radio, Zentralheizung, Vakuum, eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm, eine süße Frau voller Rasse und Verve – (und eine fürs Wochenend, zur Reserve) – eine Bibliothek und drumherum Einsamkeit und Hummelgesumm. ...
 
 
Das Sprechen der Häuser
ALAIN DE BOTTON / SCHWEIZER SCHRIFTSTELLER
"Häuser sprechen zu uns" glaubt der Philosoph Alain de Botton. "Warum hören wir ihnen nicht zu?" Der Mensch denke zu viel über Stil nach, schreibt er in dem Buch Glück und Architektur, "anstatt über die Frage, wer wir sein möchten".
 
 
Das Ziel der Architektur
JOSEF FRANK / ARCHITEKT, IN: ARCHITEKTUR ALS SYMBOL
Die Harmonie aller Teile eines Ganzen zu erreichen, ist auch heute noch das Ziel der Architektur. Es ist durchaus falsch, dass irgendein Zweck berechtigt, diese Harmonie zu zerstören und als Entschuldigung hiefür angeführt werden kann. Wem es nicht gelingt, Form und Inhalt in restlose Übereinstimmung zu bringen, der hat eben seinen Beruf als Architekt verfehlt und täte gut daran, ein anderes Gewerbe auszuüben.
 
 
Der Bau
RAINER MARIA RILKE
Die moderne Bauschablone will mir wahrlich gar nicht passen. Hier, dies alte Haus darf fassen reiche, weite Steinterrassen, kleine, heimliche Balkone. Und die weitgewölbten Decken, die so günstig sind den Lauten, Nischen rings, die eingebauten, draus die Arme sich der trauten Dämmrung dir entgegenstrecken. Alle Mauern breiter, stärker und aus echten Quaderkernen; - traun, das Gruseln könnt ich lernen, seh ich auf die Zinskasernen aus dem kleinen, stillen Erker.
 
 
Die europäische Stadt
RICHARD ROHR / FRANZISKANERPATER, IN: DER WILDE MANN
Wenn man die großen mittelalterlichen Städte Europas ansieht mit ihren großen Plätzen und Brunnen und Kathedralen und dann nach Amerika zurückkehrt, fällt einem die Differenz besonders auf. Der "amerikanische Traum" besteht letztlich nicht darin, ein echtes Gemeinwesen, eine herrliche Stadt zu bauen - sondern zu gewährleisten, daß jeder sein eigenes Häuschen hat. Gegenüber dem mittelalterlichen katholischen Denken, das darauf ausgerichtet war, eine Gottesstadt zu bauen, kann ich das nur als Verarmung empfinden: Ich baue mein Haus, achte auf mein Wohnviertel (...).
Auch das sehe ich als einen Ausdruck dafür, daß es uns an männlicher Energie fehlt. Der echte Mann begreift, daß es nur einen Weg gibt, die eigene Familie zu schützen: indem er die gesamte Menschheitsfamilie schützt. Aber es gibt nur wenige Männer, die diesen Blick überhaupt noch haben oder darüber reden.
 
 
Der innere Architekt
WILHELM BUSCH
Wem's in der Unterwelt zu still,
Wer oberhalb erscheinen will,
Der baut sich, je nach seiner Weise,
Ein sichtbarliches Wohngehäuse.

Er ist ein blinder Architekt,
Der selbst nicht weiß, was er bezweckt.
Dennoch verfertigt er genau
Sich kunstvoll seinen Leibesbau,
Und sollte mal was dran passieren,
Kann er's verputzen und verschmieren,
Und ist er etwa gar ein solch
Geschicktes Tierlein wie der Molch,
Dann ist ihm alles einerlei,
Und wär's ein Bein, er macht es neu.

Nur schad, daß, was so froh begründet,
So traurig mit der Zeit verschwindet,
Wie schließlich jeder Bau hienieden,
Sogar die stolzen Pyramiden.
 
 
Der kulturelle Befehl
ROBERT PFALLER / IN: BRAND EINS 12/2014
Um ihre alltäglichen Schranken hinter sich zu lassen, brauchen Menschen meist eine Art kulturellen Befehl. Wenn ich zum Beispiel in eine Bar mit gedämpftem Licht komme, in der leiser, cooler Jazz gespielt wird, höre ich gleichsam eine Stimme, die zu mir sagt: „Jetzt benimm dich nicht wie ein Kind und bestell dir ja kein Mineralwasser.“ Ohne solche Aufforderungen verkümmert die Genussfähigkeit der Menschen recht schnell. Manche wollen, wenn sie allein zu Hause sind, nicht einmal essen. Was sich in den westlichen Kulturen diesbezüglich verändert hat, ist – wie der amerikanische Soziologe Richard Sennett erkannte –, der Umstand, dass der öffentliche Raum zunehmend liquidiert wird. Im öffentlichen Raum nämlich hatte man etwas eleganter zu sein, etwas weniger empfindlich und etwas fröhlicher aufzutreten, als man sich fühlte. Genau das wird aber heute – oft noch mit dem Gefühl der Befreiung – als „normierend“ zurückgewiesen.
 
 
Der Laie als Architekturexperte?
HANNO RAUTERBERG / DEUTSCHER JOURNALIST UND ARCHITEKTURKRITIKER
... dass die Architektur immer zwei Körper hat. Zum einen den rationalen, den bautechnischen Körper, der sich berechnen lässt. Zum anderen den emotionalen Körper, der viel schwerer zu bestimmen ist, weil sich unsere Empfindungen selbst mit den avanciertesten Computern nicht berechnen lassen. Doch gibt es auch für diesen Teil der Architektur Experten. Es sind die verhassten, belächelten Laien.
 
 
Der Lattenzaun
CHRISTIAN MORGENSTERN
Es war einmal ein Lattenzaun,
mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

Ein Architekt, der dieses sah,
stand eines Abends plötzlich da –

und nahm den Zwischenraum heraus
und baute draus ein großes Haus.

Der Zaun indessen stand ganz dumm,
mit Latten ohne was herum.

Ein Anblick gräßlich und gemein.
Drum zog ihn der Senat auch ein.

Der Architekt jedoch entfloh
nach Afri- od- Ameriko.
 
 
Der nervöse Punkt
WOLF HAAS / SCHRIFTSTELLER
Ich habe einmal einen gotischen Dom in Burgund besichtigt, da gibt es Stellen, wo die Säulen übergehen in die Kuppeln, und diese Stellen sind immer verziert: Das ist der nervöse Punkt, wo tragende und lastende Teile zusammenstoßen. Um diesen Punkt dreht sich alles. Dieser Gedanke erregt mich richtig.
 
 
Der Platz ist kein Parkplatz
LEOPOLD KOHR / ÖKONOM UND ALTERNATIV NOBELPREISTRÄGER
Das hat Salzburg, Lucca, Cambridge oder das alte San Juan zu so lebendigen, liebens- und lebenswerten Städten gemacht: dass sie als "Föderation" von Plätzen und Märkten gewachsen sind, die durch Straßen miteinander verbunden sind, und nicht als Verbund von Straßen, die in Plätzen nichts anderes sehen als entweder Parkplätze oder Verkehrshindernisse (und dabei nicht erkennen, dass das Verkehrshindernis die Grundlage des Handels darstellt).
 
 
Der Zeigefinger und die Architektur
ARMIN THURNHER / HRSG. FALTER
Der Zeigefinger ist die Frontalpädagogik der Gestensprache. Auch in der Sprache der Architektur spielt er eine Rolle. In doppelter Form: In Form des aufragenden Zeichens und in Form der zeichenhaften Architektur, also von Bauwerken, die uns etwas zeigen wollen. Vor allem den Zeigewillen des Architekten.
 
 
Die Bilder sind immer inwendig
ROBERT SEETHALER / SCHRIFTSTELLER
Die Bilder sind immer inwendig, dass heisst, wenn ich wirklich sehen möchte oder auch Figuren in mir auftauchen lassen möchte, dann darf ich nicht raus sehen. Ich muss da ganz bei mir bleiben und diese Bilder sind auch nicht statisch, das ist kein Gemälde sondern das sind Bilder die mich durchwehen. Alles was ich versuche beim Schreiben ist, dass ich eines oder auch mehrere dieser Bilder so genau wie möglich versuche festzuhalten. (Anm.: Analogie zum architektonischen Entwerfen)
 
 
Die Eitelkeit des Hauses
PETER BICHSEL / SCHWEIZER SCHRIFTSTELLER
Ich erinnere mich an einen Freund, der sich ein sehr schönes, sehr modernes Haus baute – nicht nur mit großem persönlichen Einsatz und Opfern, sondern auch in der Überzeugung, eine Pioniertat für die moderne Architektur zu tun. Nun saß er in seinem Haus, und das Haus musste gelobt werden. Am Morgen, wenn er aufstand, sagte das Haus: "Liebst du mich, bin ich nicht schön?" Und er saß in seinem Haus und machte ihm Liebeserklärungen. Und er war froh, wenn er Gäste hatte. Denen konnte er das Haus zeigen, und sie konnten einstimmen in den Lobgesang, und die Eitelkeit des Hauses war vorläufig befriedigt. Er hatte das Haus verlassen. Es wurde unbewohnbar, weil es nie zu einer Selbstverständlichkeit wurde. Weil es nicht einfach da war, mit einem Dach und mit Fenstern.
 
 
Die halbe Miete
DANIEL GLATTAUER / IN: GESCHENKT
Sie drückte mir relativ bald unaufgefordert ein Bier in die Hand, und wir machten einen kleinen Rundgang durch die hohen Räume ihrer farblich und auch temperaturmäßig extrem freundlichen Altbauwohnung, in der ein altmodischer weißgelber Kachelofen mit dem hellen Parkettboden um die Wette wärmte, was im Winter im Grunde schon die halbe Miete war.
 
 
Die Liebe und das Bauen
ISAY WEINFELD / BRASILIANISCHER ARCHITEKT
Bei mir geht nicht nur die Liebe, sondern auch das Bauen durch den Magen.
 
 
Die perfekte Spielwiese
ÜBER DAS WETTBEWERBSWESEN / JEAN NOUVEL
Es ist für mich ganz einfach der leichteste Weg, meinen Visionen Gestalt einzuhauchen. Es gibt mir die Möglichkeit, an unterschiedlichen Aufgabenstellungen zu wachsen und Neues zu probieren. Es ist eine perfekte Spielwiese, die Herausforderung ist immer wieder eine andere und es ist eine ideale Plattform für Architekten. Eine externe Jury entscheidet über die Realisierung eines Projektes und das ist immer wieder ein spannender Prozess.
 
 
Die Stadt als Marke
SIMON ANHOLT / CITY BRANDS INDEX
Geld ohne Kultur funktioniert nicht, das sieht man bei vielen neuen Städten in China oder zum Beispiel in Dubai. Alle Gebäude sind scheinbar von Richard Rogers oder Renzo Piano gestaltet. Man landet dort und denkt: Das könnte jetzt überall sein. Es gibt keine Identität, keine Geschichte - grässliche Orte. Die Wirtschaftskrise hat uns gezeigt, dass der Wettbewerb zwischen Städten nicht nur ein wirtschaftlicher ist. Es geht auch um Werte, Kultur, Geschichte oder Lebensqualität. Vor der Krise haben wir zweidimensionales Schach gespielt, was schwierig genug war. Jetzt ist eine dritte Dimension hinzugekommen.
 
 
Die Wand
ROBERT VENTURI / US-AMERIKANISCHER ARCHITEKT
Architektur findet in der Wand statt.
 
 
Ein Blatt Papier, ein Bleistift
RAIMUND ABRAHAM
"Was ich damit meine, ist, dass ihr euch nicht zu Sklaven in einem Konzernbüro machen oder Groupie eines Stararchitekten werden müsst. Alles, was man braucht, ist ein Blatt Papier, einen Bleistift und den Wunsch, Architektur zu machen."
 
 
Ein guter Zuhörer
ISAY WEINFELD / BRASILIANISCHER ARCHITEKT
Ich halte nichts von Architektur bei der sich der Urheber als Genie sieht. Ich bin einfach nur Zuhörer, der die Fähigkeit besitzt, das Gehörte in etwas Gebautes zu verwandeln.
 
 
Ein Haus mit Garten
GILBERT KEITH CHESTERTON / ENGLISCHER SCHRIFTSTELLER UND JOURNALIST
Was hat man ihm (dem kleinen Mann) nicht alles versprochen: das Land Utopia, den kommunistischen Zukunftsstaat, das Neue Jerusalem, selbst ferne Planeten. Er aber wollte nur eines: ein Haus mit Garten.
 
 
Einfache Häuser
ERNST HIESMAYR / ENTWURFSMETHODEN / 1991
Das Bau-Wesen muß ein Leistungstyp in seinem Lebensumfeld sein. Das Innen und Außen beginnt im Dialog Gestalt anzunehmen. Während beide, Innen und Außen, ihr Zusammenwirken beginnen, erfolgt gleichzeitig die Überprüfung, ob dieses Konzept-Wesen dem Standort gerecht wird und dort sein natürliches Selbstverständnis findet.

Daraus erwächst der Typus. Dieser muß aber nicht nur lebensfähig, sondern auch mit Lebensfreude am Standort verwurzelt sein. Diese Lebensfreude wird erreicht, indem die Erlebnisqualitäten des Umfeldes in das eigene, vitale Wesen integriert werden.

Es bleibt offen, ob sich die Gestalt der Architektur in das Umfeld einordnet oder ob das Umfeld die Idee akzentuiert.
 
 
Einfluss der Motorisierung auf die Gesellschaft
HERMANN KNOFLACHER / IN: »DAS AUTO MACHT UNS TOTAL VERRÜCKT« / 2007 / QUELLE: DIE ZEIT, 13.09.2007 NR. 38
Das Auto ist wie ein Virus, das sich im Gehirn festsetzt und Verhaltenskodex, Wertesystem und Wahrnehmung total umkehrt. Ein normaler Mensch würde unseren derzeitigen Lebensraum als total verrückt bezeichnen! Wir ziehen uns mehr oder weniger freiwillig in abgedichtete Häuser mit Lärmschutzfenstern zurück, um den Außenraum dem Krach, dem Staub und den Abgasen der Autos zu überlassen. Das ist doch eine völlige Werteumkehr, die uns nicht einmal mehr auffällt.
 
 
Elend der Großstadt
DANIEL GLATTAUER / IN: GESCHENKT
Die Trabantensiedlung in Wien-Donaustadt bot quasi die perfekte Einstimmung auf eine düstere Familiengeschichte an einem nasskalten Tag Ende November, der stürmische Wind wirbelte abgerissene Werbeplakat-Gesichtsfetzen von Wohlstand vorgaukelnden Stadtpolitikern übers Pflaster. Allein darin spiegelt sich das ganze Elend einer Großstadt, die sich zwar rühmte, zu den glanzvollsten und reichsten der Welt zu zählen, aber dieser glanzvolle Reichtum ging leider haarscharf an etwa achzig Prozent der Bevölkerung vorbei. An dieser Wohnsiedlung ging er sogar deutlich mehr als nur haarscharf vorbei. Praktisch an jedem zweiten Haustor lud ein Schild zu psychologischer Betreuung ein. In den Betonklötzen rechts und links der Straße gab es vermutlich täglich entweder einen Amoklauf, einen Suizidversuch, ein Ehedrama oder ein herkömmliches Blutbad.
 
 
Erfahrungswissen in der Architektur
DIETMAR EBERLE / ARCHITEKT
Warum ist das, was eigentlich auf der Hand liegt, in der heutigen Architektur so selten zu finden?

Da ist die digitale Determinierung, ergänzt durch die Verabsolutierung der Berechenbarkeit. Empirisches Wissen dagegen - wir können es nicht quantifizieren und nicht bildhaft darstellen. Aber erleben können wir es sehrwohl, denn es lebt, als Erfahrungswissen leibhaftiger Menschen.

In der heute verbreiteten Methode architektonischer Produktion - in der mathematisch berechnenden Erfassung einerseits und der digitalen, grenzenlosen Bildproduktion andererseits - gehen diese Qualitäten vollkommen verloren. Sie kommen in dieser schönen neuen Welt nicht vor, entziehen sich ihr, sind als empirisches Wissen einerseits viel komplexer, andererseits viel einfacher. Das haben sie mit diesem Haus gemeinsam.
 
 
Fertiges Bauwerk
PETER ZUMTHOR / BAUTEN UND PROJEKTE, BAND 1
Das fertige Bauwerk ist dein bestes Argument, hat ein Bauherr einmal zu mir gesagt.
 
 
Fragen kostet nichts
DANIEL GLATTAUER / IN: GESCHENKT
"Fragen kann man eigentlich immer. Fragen kostet nichts", sagte ich. Das stimmte allerdings nicht, fragen konnte mittlerweile ziemlich teuer werden, man musste nur etwa an die Psychotherapie denken, oder an Architekten oder Steuerberater, aber egal, das passte jetzt nicht hierher.
 
 
Freiheit
GERHARD POLT / SCHAUSPIELER UND KABARETTIST
Wir leben in einer Gesellschaft, die zwar formal alle Freiheiten hat, aber mit ihrer Freiheit nichts anfangen kann, weil Sie kaserniert ist. Du brauchst dir ja nur die Architektur anzuschauen. Da kannst du dir doch gleich deinen Grabstein im voraus kaufen. In den Menschen ist keine Freud mehr.
 
 
Fußgänger und Stadtgestalt
HERMANN KNOFLACHER / PLANER WEITREICHENDER UND GANZHEITLICHER VERKEHRSKONZEPTE
Der Fußgängerverkehr stellt nicht nur die höchstentwickelte und flexibelste Form städtischer Mobilität dar, sondern fördert damit auch die beste Form der Stadtgestalt. Er ist am wenigsten steigerungsempfindlich, am wendigsten und ermöglicht damit Gestaltungsmöglichkeiten öffentlicher Flächen in einer Lebensqualität schaffenden Form, wie dies bei anderen Verkehrsarten nicht mehr möglich ist.
 
 
Gehende
MARTIN WALSER
Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.
 
 
Gemütlichkeit und meine Frau
OTTO SCHENK / SCHAUSPIELER / INTERWIEV IN: REINER WEIN, IDEALISM PREVAILS, 04.03.2022, MIN. 02:25 FF
Meine Frau hat die Wohnung so eingerichtet wie ein Architekt. Nur mit einem viel größeren Mut und viel größerem Geschmack als die Architekten meiner Ansicht haben, für mich haben. Sie hat die Gemütlichkeit gerettet in einer Welt des Wahnsinns in die ich geworfen wurde. Es war plötzlich gemütlich wenn sie da war. Wenn Sie da war war's immer schön. Ich bin süchtig und verliebt immer nach ihr gewesen, das ganze Leben.
 
 
Gemütlichkeit
FRIEDRICH ACHLEITNER / ÖSTERREICHISCHER ARCHITEKT, ARCHITEKTURKRITIKER UND SCHRIFTSTELLER, IN: VOM GRUNZEN UND REKELN / REGION, EIN KONSTRUKT? REGIONALISMUS, EINE PLEITE?
Gemütliche Räume zeigen einen laxen, dumpfen, unkontrollierten Umgang mit der visuellen Welt. Sie haben sicher nichts Insistierendes, Forderndes oder gar Belehrendes, Aufklärerisches, Infragestellendes. In gemütlichen Räumen menschelt es, sie sind in allem unzulänglich, sie leben von Halbheiten: halb hell, halb dunkel, halb laut (auch optisch), halb leise, halb bunt, halb perfekt, halb vordergründig, halb verdeckt.
 
 
Gemütlich bin ich selbst
KARL KRAUS, IN: PRO DOMO ET MUNDO, 1912, KAP. II, VON DER GESELLSCHAFT
Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.
 
 
Geschwätzigkeit und Schweigen
FRIEDRICH ACHLEITNER / ÖSTERREICHISCHER ARCHITEKT, ARCHITEKTURKRITIKER UND SCHRIFTSTELLER
Spätestens seit Adolf Loos wissen wir, dass in einer Kultur der Geschwätzigkeit das Schweigen noch allemal seine Botschaft hat. // Friedrich Achleitner zu Ottokar Uhls Studentenkapelle in der Wiener Ebendorferstraße
 
 
Gleichförmigkeit
KARL OVE KNAUSGARD / SCHRIFTSTELLER
Reiste man heute durch Norwegen, sah man überall das Gleiche. Die gleichen Straßen, die gleichen Häuser, die gleichen Tankstellen, die gleichen Geschäfte. Noch in den sechziger Jahren ließ sich beispielsweise beobachten, wie sich die Kultur veränderte, wenn man das Gudbrandstal hinauffuhr, die merkwürdigen schwarzen Holzbauten, so rein und düster, die mittlerweile eingekapselt waren wie kleine Museen in einer Kultur, die sich nicht von der unterschied, aus der man kam oder zu der man wollte. Und Europa, das immer mehr zu einem einzigen großen und gleichförmigen Land zusammenwuchs. Das Gleiche, das Gleiche, alles war gleich.
 
 
Gleichgewicht auf kleinstem Raum
HERMANN KNOFLACHER / PLANER WEITREICHENDER UND GANZHEITLICHER VERKEHRSKONZEPTE
Das Ziel der Siedlungsentwicklung im Sinne europäischer Tradition war ein organisches Wachstum mit einem Minimum an mechanischer Mobilität. Europäische Siedlungen haben Jahrhunderte mit und vom Fußgeher gelebt und standen mit ihrem Umfeld in einer symbiotischen Beziehung, die beide Bereiche befruchtete. Wenn Strukturen in den Siedlungen entstanden sind, dann musste das Gleichgewicht auf kleinstem Raum jeweils wiederhergestellt werden. Das heißt, Arbeiten, Wohnen, Freizeit und Einkauf waren in einem ausgeglichenen Verhältnis kleinräumig vielfältig vernetzt und haben daraus den Reiz der Siedlungen, den wir heute im Städtetourismus immer mehr schätzen, entstehen lassen.
 
 
Glücksmomente meiner Kindheit
FERDINAND VON SCHIRACH, JURIST, DRAMATIKER UND SCHRIFTSTELLER, IN: TROTZDEM
Ich lag im Bett, die Tür stand offen, die Geräusche im Haus. Mein Vater schimpfte mit den Hunden unten in der Halle, irgendwas wurde durchs Haus getragen, Geschirr klapperte. Das Gefühl, beschützt im Bett zu liegen und trotzdem Teil des Lebens draußen zu sein.
 
 
Große Taten, Windhauch und Luftgespinst
BUCH DES PREDIGERS KOHELET / 2,4 FF.
Ich vollbrachte meine großen Taten:
Ich baute mir Häuser, ich pflanzte Weinberge.
Ich legte mir Gärten und Parks an, darin pflanzte ich alle Arten von Bäumen.
Ich legte Wasserbecken an, um aus ihnen den sprossenden Baumbestand zu bewässern.
Ich kaufte Sklaven und Sklavinnen, obwohl ich schon hausgeborene Sklaven besaß. Auch Vieh besaß ich in großer Zahl, Rinder, Schafe, Ziegen, mehr als alle meine Vorgänger in Jerusalem.
Ich hortete auch Silber und Gold und, als meinen persönlichen Schatz, Könige und ihre Provinzen.
Ich besorgte mir Sänger und Sängerinnen und die Lust jedes Menschen: einen großen Harem.
Ich war schon groß gewesen, doch ich gewann noch mehr hinzu, sodass ich alle meine Vorgänger in Jerusalem übertraf.
Und noch mehr: Mein Wissen stand mir zur Verfügung und was immer meine Augen sich wünschten, verwehrte ich ihnen nicht. Ich musste meinem Herzen keine einzige Freude versagen. Denn mein Herz konnte immer durch meinen ganzen Besitz Freude gewinnen. Und das war mein Anteil, den ich durch meinen ganzen Besitz gewinnen konnte.
Doch dann dachte ich nach über alle meine Taten, die meine Hände vollbracht hatten, und über den Besitz, für den ich mich bei diesem Tun angestrengt hatte.
Das Ergebnis: Das ist alles Windhauch und Luftgespinst. Es gibt keinen Vorteil unter der Sonne.
 
 
Großstädter
GEORGE MIKES / SCHRIFTSTELLER
Großstädter sind Leute, die vom Land in die Stadt gezogen sind, um hier so hart zu arbeiten, dass sie es sich leisten können, aus der Stadt aufs Land zu ziehen.
 
 
Großstadtfreude
KARL OVE KNAUSGARD / SCHRIFTSTELLER
Der entscheidende Vorteil daran, in einer Großstadt zu leben, bestand für mich jedoch darin, dass ich in ihr vollkommen allein sein konnte, während ich gleichzeitig überall von Menschen umgeben war. Alle mit Gesichtern, die ich nie zuvor gesehen hatte! Der Strom neuer Gesichter, der niemals aufhörte, und in ihn einzutauchen, das war für mich die wahre Großstadtfreude. Die U-Bahn mit ihrem Gewimmel von Typen und Charakteren. Die Plätze. Die Fußgängerzonen. Die Cafés. Die großen Einkaufszentren. Distanz, Distanz, ich konnte nie genug Distanz haben.
 
 
Gute Architektur lässt den Menschen leben
PETER ZUMTHOR / ARCHITEKT
Immer wieder begegne ich Bauten, die mit Aufwand und dem Willen zur besonderen Form gestaltet sind, und ich bin verstimmt. Der Architekt der das Ding gemacht hat, ist zwar nicht anwesend, aber spricht zu mir ohne Unterlass aus jedem Detail des Gebäudes, und er sagt mir immer das Gleiche, das mich doch so rasch nicht mehr interessiert. Gute Architektur sollte den Menschen aufnehmen, ihn erleben und wohnen lassen, nicht ihn beschwatzen.
 
 
Gutes Leben in der Stadt
LEOPOLD KOHR / ÖKONOM UND ALTERNATIV NOBELPREISTRÄGER
Dass alte Städte so bezaubernd sind und neue nicht, liegt darin begründet, dass die Stadtplaner frührer Zeiten – im antiken Griechenland, in mittelalterlichen Stadtstaaten oder im modernen Paris – nicht verschiedenen Zwecken dienten, sondern einzig und allein dem unveränderlichen Zweck, aufgrund dessen die Menschen seit jeher in derartigen Gemeinwesen leben wollen. Dieser Zweck wurde von Aristoteles philosophisch zum Ausdruck gebracht, als er sagte, die Menschen würden nicht um des Friedens, der Gerechtigkeit, der Verteidigung, des Verkehrs oder des Handels willen Gemeinwesen gründen, sondern um ein gutes Leben führen zu können.
 
 
Handwerk
VITTORIO MAGNAGO LAMPUGNANI / ARCHITEKT / IN: DIE MODERNITÄT DES DAUERHAFTEN
Ein Handwerk ist ein System von überwiegend praktischen Regeln, die sich in Jahrzehnten, Jahrhunderten, manchmal sogar in Jahrtausenden entwickelt, gefestigt und verfeinert haben. Diese Regeln gehören nicht dem einzelnen Handwerker, sondern allen Handwerkern, welche die Arbeit zusammenführt.
Die auf der Grundlage solcher Regeln geschaffenen Erzeugnisse sind mithin vertraut. Es sind Erzeugnisse, die Orientierung vermitteln. Die man leicht benutzt. Die man versteht. Die einem nahe sind.
 
 
Hans J. Wegner
DÄNISCHER TISCHLER, ARCHITEKT UND MÖBELDESIGNER
A well thought-out construction can be its own decoration.
 
 
Hausbau und dergleichen
HEINRICH TESSENOW / 1916
Es scheint manchmal, als sei die Einfachheit mit der Armut verwandt; aber diese beiden haben praktisch ohne weiteres noch nichts miteinander zu tun; unsere Einfachheit kann gewiss ebensogut größter Reichtum sein wie unsere Vielheit größte Armut sein kann.
 
 
Hochhaus
FRIEDRICH ACHLEITNER / ÖSTERREICHISCHER ARCHITEKT, ARCHITEKTURKRITIKER UND SCHRIFTSTELLER
Das Hochhaus muß der Stadt etwas zurückgeben.
 
 
Hohlraum und Nichtsein
LAOTSE
Der Hohlraum zwischen den Wänden eines Gefäßes macht das Gefäß nützlich.
Der Hohlraum zwischen den Speichen eines Rades macht das Rad brauchbar.
Das Nichtsein der Mauer zwischen den Wänden macht das Haus bewohnbar.
Durch das Nichtsein ist alles gemacht.
 
 
Hort des Fußgängerdaseins
LEOPOLD KOHR / ÖKONOM UND ALTERNATIV NOBELPREISTRÄGER
Nur wenn die Städte ähnlich wie die eigenständigen Anlagen moderner Luxushotels wieder zum Hort des Fußgängerdaseins werden, in dem man sich nicht den Autos anpasst, sondern diese weitgehend überflüssig macht, lassen sich die langfristigen Probleme nicht nur des Verkehrstaus, sondern auch der Luftverschmutzung lösen.
 
 
Ich hasse Möbel
PETER WEIBEL / KÜNSTLER
Das bürgerliche Leben mit Möbeln und materiellen Gütern ist ja sowieso eine absolute Fehlkonstruktion. Ich hasse Möbel. Sie sind Ausdruck von monetärer Macht und stehen nur im Weg herum. Nur die Bücher, die will ich materiell haben, Papier zwischen den Fingern, das muss sein. Wenn Sie so wollen: Bücher sind mein Medienmittelpunkt. Bücher sind meine bürgerlichen Möbel.
 
 
Ideal
KURT TUCHOLSKY / DAS IDEAL, 1927
Ja, das möchste, eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße, mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – aber abends zum Kino hast dus nicht weit [...]
 
 
In der Stadt wohnen
ELFRIEDE GERSTL / IM GESPRÄCH MIT FRANZ SCHUH
In der Stadt zu wohnen war mir eigentlich immer sehr wichtig, das heißt, ich wohn' noch gar nicht so lang da, aber das ist einer der wenigen alten Wünsche, die ich mir erfüllen konnte. Ich hab' sehr lange im zweiten Bezirk und unglaublich unbequem gewohnt und mich sofort, wenn ich das Geld für einen kleinen Kaffee gehabt hab', über die Augartenbrücke in den ersten Bezirk begeben und eines der wenigen Cafés aufgesucht, die damals für unsereinen - wenn man so sagen will - angenehm waren. Das Wohnen in der Stadt ist für mich wirklich sehr angenehm und eben die Erfüllung des alten Wunsches, wie ich gesagt hab', und es ist mir möglich, am Abend zu Fuß die Lokale und Aufführungsorte zu erreichen, die ich aufsuchen mag. Besuch hab' ich in meiner Wohnung nur selten, weil ich so viele Bücher, Zeitschriften, Kleider angehäuft hab', dass ich es für Besuch nicht angenehm machen kann. Und da das so lange Jahre der Fall ist, werd' ich das wahrscheinlich so wollen und mit Wohnungen nicht anders umgehen können.
 
 
Jeder Bau verletzt die Erde
RAIMUND ABRAHAM / ARCHITEKT / 1933-2010
Jeder Bau verletzt die Erde. Jeder Architekt hat deshalb die Verantwortung, dass diese aufgeladene Schuld der Verletzung der gegebenen Erde nur durch eine kulturelle und künstlerische Verbesserung versöhnt werden kann.
 
 
Jeder lebt in einer anderen Stadt
ELFRIEDE GERSTL / IM GESPRÄCH MIT FRANZ SCHUH
Gerstl: Jeder lebt in einer anderen Stadt. Jeder sieht eine andere Gruppe von Personen oder andere Örtlichkeiten oder hat einen anderen Blick auf die Stadt. Mein Herumgehen oder mein Blick auf diesen Ausschnitt der Stadt zeigt mir etwas Dörfliches. Das mag für sehr viele andere Bewohner dieses Bezirks oder dieser Stadt ganz anders aussehen. Ich mache halt so einen Gebrauch von diesem Teil der Stadt, und ich glaube, auch alles Heimweh oder alle Sehnsucht nach irgendeinem Ort bezieht sich eigentlich auf eine Personengruppe und auf ein paar Straßenzüge oder auf ein paar Stammlokale, das bezieht sich nicht auf das ... Schuh: Also eigentlich auf das, was an der Stadt nicht städtisch ist. Gerstl: Das, was eigentlich dörflich ist.
 
 
Kleine Tempel
ANDREA PALLADIO / ARCHITEKT DER RENAISSANCE
Die kleinen Tempel, die wir bauen, sollen dem einen großen ähneln.
 
 
Krimi und Architektur
WOLF HAAS / SCHRIFTSTELLER
Das Beschränkte und Begrenzte am Krimi-Genre ist gerade das Reizvolle. Natürlich ist es äußerlich ein unglaublich banales Regelwerk - Mord und Aufklärung, Opfer und Täter, Polizei und Bösewicht. Aber so wie es für einen Architekten vermutlich reizvoller ist, auf einem zu schmalen oder zu steilen Grundstück ein sinnvolles Gebäude zu errichten, da etwas hinzuzaubern, übt auch die Beschränktheit des Genres einen großen Reiz aus: eine Geschichte dort irgendwie so reinzuquetschen, dass sie im Idealfall besser aussieht als ungequetscht.
 
 
Leidenschaftlich und absolut
PETER BROOK / IN: WANDERJAHRE
Ich habe niemals an nur eine einzige Wahrheit geglaubt. Weder meiner eigenen, noch der von anderen. Ich glaube, alle Schulen, alle Theorien können an gegebenem Ort, zu gegebener Zeit nützlich sein. Allerdings habe ich entdeckt, dass man nur leben kann, wenn man sich leidenschaftlich und absolut mit einem Standpunkt identifiziert.

In dem Maße jedoch, wie die Zeit vergeht, wie wir uns verändern, wie die Welt sich verändert, wechseln die Ziele, und der Standpunkt verschiebt sich. Wenn ich jetzt auf das zurückblicke, was ich in vielen Jahren geschrieben und bei so vielen unterschiedlichen Gelegenheiten geäußert habe, fällt mir eins auf, das stets gleich geblieben ist. Damit ein Standpunkt überhaupt irgendwelchen Nutzen haben kann, muss man sich ihm total verschreiben, ihn bis aufs Blut verteidigen. Doch gleichzeitig ist da diese innere Stimme: "Nimm es nicht zu ernst. Hold on tightly, let go lightly.“
 
 
Manhatten – Dichte und Durchmischung
VITTORIO MAGNAGO LAMPUGNANI / ARCHITEKT UND STÄDTEBAUER
Aber ich fühle mich auch in Manhattan sehr wohl, das trotz seiner relativ kurzen Geschichte eine extrem dichte Substanz, eine hohe soziale Durchmischung und eine nahezu unglaubliche Energie aufweist. Und nicht zu vergessen: Es ist eine amerikanische Großstadt, die man zu Fuß erleben kann.
 
 
Mangel am Ort
HERMANN KNOFLACHER, IN: VIRUS AUTO. DIE GESCHICHTE EINER ZERSTÖRUNG
Mobilität ist immer Ausdruck eines Mangels am Ort.
 
 
Mein Grad an Freiheit
ALEXANDER BRODSKY / ARCHITEKT UND KÜNSTLER
Ist der Künstler Brodsky freier als der Architekt Brodsky? Ja, das kann man so sagen. In der Kunst hat man nicht diese Verantwortung wie in der Architektur, wo es selbst bei kleinen Bauten wie meinen schnell sehr kompliziert wird. Als Architekt hängt mein Grad an Freiheit sehr von meinem Verhältnis zu den Bauherren ab.
 
 
Melting pot - Das arabische Teehaus
NAVID KERMANI / SCHRIFTSTELLER
In der Provinz, in der ich aufwuchs (...) war ich weit und breit der Einzige, der nicht wie alle anderen aussah, und eine gewöhnliche deutsche Kneipe war für einen wie mich eine verschlossene Burg, bis hin zum Eichendekor und zu den Hirschgeweihen abweisend homogen. Dagegen erschien mir jedes arabische Teehaus wie ein herrlicher melting pot, die niemals aufeinander abgestimmte Einrichtung aus allen Erdteilen und Jahrhunderten, aber wie bunt erst die Gäste, die so vielen unterschiedlichen Schichten, Ethnien, Religionen, sexuellen Orientierungen zugehörten, obwohl sie alle im selben Viertel wohnten.
 
 
Mobilität. Wege aus dem Chaos
ENRIQUE PENALOSA, OLAF KROHN; ZITIERT IN: "MOBIL. DAS MAGAZIN DER DEUTSCHEN BAHN AG", NR. 08, 2008
Ob eine Stadt zivilisiert ist, hängt nicht von der Zahl ihrer Autobahnen und Schnellstraßen ob, sondern davon, ob ein Kind auf dem Dreirad unbeschwert und sicher überall hinkommt.
 
 
Nicht kontrollierbare Faktoren
CLEMENS SEDMAK
Es wird uns gerne suggeriert, dass alles machbar, nur eine Frage der Ressourcen ist. So ist es aber nicht. Wir kennen das vom Projektmanagement - die Faktoren, die nicht kontrollierbar sind, sind die entscheidenden. Die wichtigsten Dinge haben wir nicht in der Hand.
 
 
Nichts Neues unter der Sonne
BIBEL / BUCH DES PREDIGERS KOHELET / 1,9
Was gewesen ist, wird wieder sein, und was geschehen ist, dasselbe wird wieder geschehen: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.
 
 
Ort
FRIEDRICH ACHLEITNER / ÖSTERREICHISCHER ARCHITEKT, ARCHITEKTURKRITIKER UND SCHRIFTSTELLER, IN: ORT UND ZEIT / REGION, EIN KONSTRUKT? REGIONALISMUS, EINE PLEITE?
Kein Ort wird zweimal gleich gesehen. Die Architektur ist in ihrer Verwirklichung an den Ort gebunden, sie ist nicht nur von ihm absolut abhängig, sondern auch an ihn gefesselt, selbst wenn sie die Unabhängigkeit zum Programm hat.
 
 
Parken nur für Reiche
MARCUS ROHWETTER / IN: DIE ZEIT
Gut ein Drittel des globalen innerstädtischen Autoverkehrs entfällt inzwischen ausschließlich auf die Parkplatzsuche. In einem einzigen Geschäftsviertel von Los Angeles kurven Autofahrer jährlich rund 1,5 Millionen Kilometer auf der Suche nach Parklücken herum, hat der amerikanische Ökonom und Stadtplaner Donald Shoup herausgefunden. Parkplatzsuche ist eine Irrfahrt auf vier Rädern. In jeder Metropole.
 
 
Preisen des Mondänen
ROBERT PFALLER/ IN: BRAND EINS 12/2014
In den Siebzigerjahren hingegen schien ein wenig Mondänität, ähnlich wie schöne Autos, elegante Architektur, brauchbares Fernsehen oder gute Filme, eine Art gesellschaftlichen Normalstandard zu bilden. Heute hingegen dient den gewöhnlichen Leuten das Ungewöhnliche nur als Anlass, sich darüber zu entrüsten und sich über dessen Nichtbesitz erleichtert zu zeigen.
 
 
Reiche Atmosphäre
PETER ZUMTHOR / ARCHITEKT
Wenn ich entwerfe, finde ich mich immer wieder eingetaucht in alte und halbvergessene Erinnerungen, und ich versuche, mich zu fragen: Wie genau war jene architektonische Situation wirklich beschaffen, was bedeutete sie für mich damals, und was könnte mir helfen, jene reiche Atmosphäre wieder entstehen zu lassen, die gesättigt zu sein scheint von der selbstverständlichen Präsenz der Dinge, wo alles seinen richtigen Ort und seine richtige Form hat?
 
 
Scheitern moderner Städte
LEOPOLD KOHR / ÖKONOM UND ALTERNATIV NOBELPREISTRÄGER
Der Grund für den Erfolg alter und das Scheitern moderner Stadtplaner läßt sich in Kurzform so zusammenfassen: Alte Planer wußten um den unveränderlichen aristotelischen Zweck, warum Menschen in Gemeinschaft leben, und verwendet all ihr Talent auf den Bau des gemeinschaftlichen Kerns – der Gasthäuser, der Kirchen, der Rathäuser. Der Rest der Stadt – Wohnhäuser, Schulen, Fabriken, Geschäfte – folgte dann von selbst. Moderne Planer hingegen bauen unablässig am Rest der Stadt. Doch ohne Kern läßt sich nichts zusammenhalten. Und den Kern können sie nicht bauen, weil sie davon überzeugt sind, dass jedes Zeitalter einem anderen Zweck folgt. Der aber ist ihnen, kaum haben sie ihn ausgemacht, schon wieder unter den Füßen weggeschmolzen.
 
 
Schönheit
MICHAEL KÖHLMEIER / SCHRIFTSTELLER, IN: STÖCKL, ORF, 13.09.2018
Wir misstrauen der Schönheit so sehr, dass wir ihr einen eigenständigen Sinn und einen eigenständigen Zweck gar nicht zutrauen.
 
 
Schönheit in Design und Architektur
STEFAN SAGMEISTER, IN: „DIE SCHÖNHEIT IST ZUTIEFST EIN TEIL VON UNS“, DIE PRESSE, 30.12.2016
Wir werden in 20 Jahren auf das 20. Jahrhundert mit Kopfschütteln zurückschauen und uns wundern, wie wir ein ganzes Jahrhundert durchgestanden haben, in dem die Schönheit als Ziel des Designs und der Architektur verbannt war.
 
 
Schönheit oder Güte
EGON FRIEDELL, KULTURGESCHICHTE DER NEUZEIT
Wir berühren hier einen großen, ja vielleicht den größten Zwiespalt im Dasein der Erdenbewohner. Er besteht in der furchtbar aufwühlenden Frage: was ist der Sinn des Lebens, Schönheit oder Güte? Es liegt in der Natur dieser beiden Mächte, daß sie sich fast immer im Kampfe miteinander befinden. Die Schönheit will sich und immer nur sich; die Güte will niemals sich selbst und hat ihr Ziel immer im Nicht-Ich. Schönheit ist Form und nur Form; Güte ist Inhalt und nichts als Inhalt. Schönheit wendet sich an die Sinne, Güte an die Seele. Ist es nicht die beglückendste und adeligste Aufgabe des Menschen, die Welt immer reicher, begehrenswerter und kostbarer zu machen, mit immer bestrickenderem Geist und Glanz zu füllen? Oder ist es nicht vielleicht doch das Beste, Natürlichste und Gottgefälligste, einfach ein guter Mensch zu sein, die anderen bei der Hand zu nehmen, ihnen zu dienen und zu nützen? Was ist das Ziel unserer irdischen Wanderung? Die schrankenlose Bejahung dieser Welt in all ihrer Kraft und Pracht? Aber das vermögen wir nur auf Kosten unserer Reinheit. Oder die Rettung der uns von Gott anvertrauten Seele, ihre Läuterung und Entweltlichung? Aber dann haben wir vielleicht nicht voll gelebt. Wer hat recht: der Künstler oder der Heilige, der Schöpfer oder der Überwinder?
 
 
Sein und Nichtsein
LAO-TSE, TAO-TÊ-KING
Wahrlich:
Sein und Nichtsein entspringen einander;
Schwer und Leicht bedingen einander;
Lang und Kurz vermessen einander;
Hoch und Tief erzwingen einander.
Die Stimme fügt sich dem Ton im Chor;
Und ein Danach folgt dem Zuvor.
 
 
Spannung
PETER ZUMTHOR / BAUTEN UND PROJEKTE, BAND 1
Zweck und Form und alles was ich weiss, erzeugen eine Spannung, die den Entwurf hervorbringt.
 
 
Spektakelarchitektur
WERNER BÄTZING / DEUTSCHER THEOLOGE, PHILOSOPH UND ALPENFORSCHER
Viele Menschen meinen, wenn sie etwas kaufen, können sie damit ihr Erlebnis steigern. Das halte ich für sehr problematisch. Die Leute verlernen, selbst etwas zu erleben. Das sehen wir beim Sommertourismus mit all seinen Hängebrücken und Aussichtsplattformen. Die Leute sagen einmal "Wow!" - und im nächsten Jahr ist es ihnen schon langweilig, und etwas noch Spektakuläreres muss her.
 
 
Stadt
OSCAR WILDE IN ERNST MUß MAN SEIN, 1. AKT / JACK
In der Stadt lebt man zu seiner Unterhaltung, auf dem Land zur Unterhaltung der anderen.
 
 
Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen
ROBERT MUSIL / DER MANN OHNE EIGENSCHAFTEN
Autos schossen aus schmalen, tiefen Straßen in die Seichtigkeit heller Plätze. Fußgängerdunkelheit bildete wolkige Schnüre. Wo kräftigere Striche der Geschwindigkeit quer durch ihre lockere Eile fuhren, verdickten sie sich, rieselten nachher rascher und hatten nach wenigen Schwingungen wieder ihren gleichmäßigen Puls. Hunderte Töne waren zu einem drahtigen Geräusch ineinander verwunden, aus dem einzelne Spitzen vorstanden, längs dessen schneidige Kanten liefen und sich wieder einebneten, von dem klare Töne absplitterten und verflogen. An diesem Geräusch, ohne daß sich seine Besonderheit beschreiben ließe, würde ein Mensch nach jahrelanger Abwesenheit mit geschlossenen Augen erkannt haben, daß er sich in der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien befinde. Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen. Die Augen öffnend, würde er das gleiche an der Art bemerken, wie die Bewegung in den Straßen schwingt, bei weitem früher als er es durch irgendeine bezeichnende Einzelheit herausfände. Und wenn er sich, das zu können, nur einbilden sollte, schadet es auch nichts. Die Überschätzung der Frage, wo man sich befinde, stammt aus der Hordenzeit, wo man sich die Futterplätze merken mußte. Es wäre wichtig, zu wissen, warum man sich bei einer roten Nase ganz ungenau damit begnügt, sie sei rot, und nie danach fragt, welches besondere Rot sie habe, obgleich sich das durch die Wellenlänge auf Mikromillimeter genau ausdrücken ließe; wogegen man bei etwas so viel Verwickelterem, wie es eine Stadt ist, in der man sich aufhält, immer durchaus genau wissen möchte, welche besondere Stadt das sei. Es lenkt von Wichtigerem ab.
 
 
Theoretisieren
JAN TURNOVSKÝ / ARCHITEKT
Man kann über Architektur theoretisieren.

Man kann auch über Theoretisieren theoretisieren.


Aber irgendwann



hört es dann




einmal





auf.
 
 
Tür für Arme
GARY SHTEYNGART / SCHRIFTSTELLER
Wussten Sie, dass es in manchen New Yorker Häusern eine Hintertür für Arme gibt? Da sind Luxuswohnungen drin, aber aus Steuergründen muss es ein paar Wohnungen für Leute geben, die unter dem Existenzminimum leben. Die dürfen natürlich nicht die Pools benützen oder durch die Lobby hineingehen. Es gibt eine Extratür für sie. Wir sind eine großartige Gesellschaft! Das wäre eine tolle Idee für eine Fernsehserie: "Tür für Arme".
 
 
Über das Wohnen
WALTER BENJAMIN / DEUTSCH-JÜDISCHER PHILOSOPH
Walter Benjamin hat einmal über das Wohnen gesagt, dass die Einrichtung mancher Häuser "nach dem namenlosen Mörder" rufe und die "Anordnung der Möbel zugleich der Lageplan der tödlichen Fallen" sei.
 
 
Über die Bauordnung
FRIEDRICH ACHLEITNER / ÖSTERREICHISCHER ARCHITEKT, ARCHITEKTURKRITIKER UND SCHRIFTSTELLER
Wenn die Wiener Bauordnung in Venedig gelten würde, wäre ganz Venedig voller Geländer, damit niemand ins Wasser fallt.
 
 
Umwege
KURT TUCHOLSKY
Umwege erweitern die Ortskenntnis.
 
 
Ungargassenland
INGEBORG BACHMANN / IN: MALINA
Es gibt, und das ist leicht zu erraten, viel schönere Gassen in Wien, aber die kommen in anderen Bezirken vor, und es geht ihnen wie den zu schönen Frauen, die man sofort ansieht mit dem schuldigen Tribut, ohne je daran zu denken, sich mit ihnen einzulassen. Noch nie hat jemand behauptet, die Ungargasse sei schön, oder die Kreuzung Invalidenstraße-Ungargasse habe ihn bezaubert oder sprachlos gemacht. So will ich nicht erst anfangen, über meine Gasse, unsre Gasse unhaltbare Behauptungen aufzustellen, ich sollte vielmehr in mir nach meiner Verklammerung mit der Ungargasse suchen, weil sie nur in mir ihren Bogen macht, bis zu Nummer 9 und Nummer 6, und mich müßte ich fragen, warum ich immer in ihrem Magnetfeld bin, ob ich nun über die Freyung gehe, am Graben einkaufe, zur Nationalbibliothek schlendere, auf dem Lobkowitzplatz stehe und denke, hier, hier müßte man eben wohnen! Oder Am Hof!
 
 
Venedig – Das ideale Stadtkonzept?
VITTORIO MAGNAGO LAMPUGNANI / ARCHITEKT UND STÄDTEBAUER
Aristoteles definierte die idealen Maße des Stadtraums durch die Reichweite der menschlichen Stimme. Ebenezer Howard konzipierte seine Gartenstadt nach der Fußentfernung: Jeder Punkt der Stadt sollte vom Zentrum aus binnen 15 Minuten zu Fuß erreichbar sein. Frank Lloyd Wright erweiterte dieses Konzept in seinem Modell der "Broadacre City" durch die Fahr-Entfernung. Es wird aber wohl bei der Fußentfernung als wichtigstem Maß bleiben, denn wir haben nun einmal zwei Beine. Außerdem produziert die fußläufige Stadt weniger Dreck und Verkehrsprobleme, ist billiger zu bewirtschaften und für die ganz Jungen und ganz Alten, die kein Auto fahren, ohnehin die einzig lebbare Stadt. So gesehen, verkörpert Venedig ungeachtet all seiner Probleme nach wie vor ein ideales Stadtkonzept.
 
 
Veränderung der Dinge
ELIAS CANETTI / BULGARISCHER SCHRIFTSTELLER UND NOBELPREISTRÄGER
Man weiß nie, was daraus wird, wenn die Dinge verändert werden. Aber weiß man denn, was daraus wird, wenn sie nicht verändert werden?
 
 
Verlust an öffentlichem Raum
HERMANN KNOFLACHER / PLANER WEITREICHENDER UND GANZHEITLICHER VERKEHRSKONZEPTE
Man hat seit über 50 Jahren den öffentlichen Raum, der früher noch allen Verkehrsteilnehmern zur Verfügung stand, zum Großteil für den Autoverkehr reserviert und zusätzlich noch Unmengen an Fahrbahnen dazugebaut. Dadurch wurden aber gleichzeitig die Fortbewegungsräume für alle anderen Verkehrsteilnehmer drastisch eingeschränkt, der Aufenthalt im öffentlichen Raum für alle anderen Verkehrsteilnehmer zu einem unangenehmen Ereignis gemacht, weil man dort vom Autoverkehr und seinen Abgasen vergiftet, vom Lärm belästigt und durch seine Geschwindigkeiten tödlich bedroht wird.
 
 
Versagen
WALTER GROPIUS
Die Krankheit unserer heutigen Städte und Siedlungen ist das traurige Resultat unseres Versagens, menschliche Grundbedürfnisse über wirtschaftliche und industrielle Forderungen zu stellen.
 
 
Verschönerte Stadt
LEOPOLD KOHR / ÖKONOM UND ALTERNATIV NOBELPREISTRÄGER
Früher waren die Städte nicht auf den Verkehr ausgerichtet. Man brauchte nicht schnell die Stadt durchqueren, sondern hatte viel Energie und Zeit übrig, um sie zu verschönern.
 
 
Vision "Triple Zero"
WERNER SOBEK / DEUTSCHER BAUINGENIEUR UND ARCHITEKT
Das Haus darf aufs Jahr verteilt NULL Energie mehr verschwenden, als es selbst durch die Photovoltaikanlage auf dem Dach und den Wärmetauscher im Boden erzeugen kann. Es soll NULL Kohlendioxid emittieren. Und es muss vollständig demontierbar und recyclingfähig sein, sodass irgendwann einmal annähernd NULL Müll übrig bleibt. >>www.wernersobek.de
 
 
Wem gehört der öffentliche Raum?
CHARLIE TODD
"(...) Uns allen! Der öffentliche Raum ist das Wohnzimmer der Gesellschaft. Hier treffen wir uns, hier lernen wir einander kennen, hier gibt's Komik und Klamauk. Verbotstafeln, die darauf hinweisen, dass Gehen, Stehen, Liegen, Trinken, Essen oder Musizieren verboten sind, erscheinen mir suspekt. Menschen, die sich daran halten, ebenso. (...)"
 
 
Werk und Person
EMIL STEFFANN / ARCHITEKT UND KIRCHENBAUMEISTER
Es gab große Zeiten, in denen die Künste blühten, die Menschen aber, welche die großen Werke schufen, ganz klein geschrieben wurden, ja, anonym blieben. ... Wir sprechen im Hinblick auf ein geschlossenes, abgerundetes Werk heute anerkennend von einer geschlossenen Persönlichkeit. Es gibt aber zu denken, daß das Wort "Person" von dem lateinischen "personare" kommt und wörtlich "hindurchtönen" heißt. Nicht die Geschlossenheit, die Durchlässigkeit, also das Gegenteil dessen, was der übliche Sprachgebrauch heute unter Person versteht, ist der ursprüngliche und eigentliche Sinn des Wortes. Person existiert nur in der Transparenz. Der Mensch ist tatsächlich nur insoweit Person, wie der Geist ihn durchdringt, durch ihn hindurchtönt. Der Geist macht ihn zur Person.
 
 
Widerstand
PETER ZUMTHOR / ARCHITEKT
In einer Gesellschaft, die das Unwesentliche zelebriert, kann Architektur in ihrem Bereich Widerstand leisten, dem Verschleiss von Formen und Bedeutungen entgegenwirken und ihre eigene Sprache sprechen.
 
 
Würde Paris gelöscht, gäbe es keine Schönheit mehr
SIMON ANHOLT / CITY BRANDS INDEX
Paris. Der ultimative Standard guten Lebens wird dort immer bestehen, egal, was passiert. Ob es ums Essen geht, um Mode, Architektur, Literatur, Theater oder tausend andere Dinge. Würde Paris gelöscht, gäbe es keine Schönheit mehr.
 
 
Zu schön, um nah zu sein
MICHAEL CORNELIUS / SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN
Ein perfektes Haus ist immer perfekter als die Beziehung; Design ist kompromisslos, Dasein nicht. Und: Das Traumhaus lässt keine Entschuldigung mehr zu, die man auf die Verhältnisse schieben kann. Worüber ließe sich denn jetzt noch jammern, wenn alles Wünschbare in der Überdosis da ist? ... Ich lebe jetzt in einem unrenovierten Haus. Die alten Dielen knarzen, die Fenster sind klein und undicht wie das Dach. Der Garten ist verwildert. Ich grille jeden Abend mit Freunden. Es ist fast zu schön, um wahr zu sein.
 
 
Zukunft der Stadt
LEOPOLD KOHR / ÖKONOM UND ALTERNATIV NOBELPREISTRÄGER
Die Zukunft der Stadt liegt in der Vergangenheit. Da wußte man, wie man eine Stadt bauen soll, weil man wußte, warum man in einer Stadt leben will. In ihr ist nicht nur alles da, was man braucht; es ist auch alles in der Nähe: Läden, Arzt, Café, Schule, Amt, Spielplatz, Theater und die drei Kernstrukturen, um die sich alles gesellschaftliche Zusammenleben gruppiert – Wirtshaus, Rathaus, Kirche.